HANNOVER. 11. August 2021. Für fünf junge Erwachsene mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung aus dem Deutschen Taubblindenwerk Hannover ist ein neuer Lebensabschnitt angebrochen: Als Teilnehmer*innen der Wohntrainingsgruppe wohnen sie künftig in einer WG-ähnlichen Wohnform zusammen, die ihnen ein selbstbestimmteres Leben ermöglicht. Die Wohntrainingsgruppe ist ein Modellprojekt des Deutschen Taubblindenwerks, die das derzeitige Wohnangebot ergänzt und den Bewohner*innen neue Perspektiven eröffnet.
„Mit der Wohntrainingsgruppe haben wir einen wesentlichen Schritt unternommen, um Menschen mit doppelter Sinnesbeeinträchtigung zu mehr Selbstbestimmung zu verhelfen. Damit verwirklichen wir die Intentionen und Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes in Bezug auf soziale Teilhabe, Selbstbestimmung und Inklusion,“ sagt Volker Biewald, Geschäftsführer des Deutschen Taubblindenwerks.
Zur besonderen Situation von Menschen mit Taubblindheit
Taubblinde Menschen sind durch ihre Sinnesbeeinträchtigungen dauerhaft von ihrer Umwelt isoliert. Sie sind lebenslang auf Hilfen angewiesen, um die behinderungsbedingte Isolation zu vermindern und Bezüge zur personalen und sachlichen Umwelt intensivieren zu können.
Die Kommunikation mit Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung findet unter besonderen Bedingungen statt, da die Hände als Kommunikationsmittel eingesetzt werden. Sowohl das Lormen (Tastalphabet) als auch die verschiedenen Arten des Gebärdens (DGS, Taktiles Gebärden, LBG) lassen nur Einzelgespräche zu, die auch nur unter einem erhöhten Zeitaufwand geführt werden können. Hinzu kommen häufig geistige, körperliche oder seelische Behinderungen/Krankheitsbilder, die in Wechselwirkung mit der Hörsehbehinderung/Taubblindheit stehen. Die betroffenen Menschen haben komplexe Hilfebedarfe, die sich in alle Lebensbereiche ausdehnen.
Neue Perspektiven für mehr soziale Teilhabe
Die Wohntrainingsgruppe eröffnet diesem Personenkreis neue Perspektiven. Im Vergleich zu einem Platz im Wohnheim bietet sie eine weniger engmaschig gefasste Betreuung. In dieser Situation sollen die Bewohner*innen ihre bereits erworbenen Fertigkeiten, besonders im lebenspraktischen Bereich, weiter ausbauen. Ihren Alltag sollen sie noch stärker unter den Aspekten der Teilhabe, der Selbstbestimmung und der Eigenverantwortung wahrnehmen.
Das Konzept trägt bereits Früchte: Die Mitbewohner*innen ergänzen und unterstützen sich im Alltag je nach individuellen Fähigkeiten. Gemeinsam erleben sie die Vorteile und Herausforderungen des sozialen Zusammenlebens in einer Wohngemeinschaft: Es wird zusammen gekocht, gegessen, Wäsche gewaschen und Freizeitaktivitäten nachgegangen. Unterstützung und Assistenz bekommen sie durch geschultes Fachpersonal, das mehrmals täglich die Gruppe besucht, im Alltag und bei Besorgungen unterstützt und selbstverständlich Tag und Nacht für die Gruppe erreichbar ist.
Wohnsituation: An den Bedarfen orientiert und doch individuell komfortabel
Der rund 173 qm große barrierearm ausgebaute Bungalow befindet sich in fußläufiger Entfernung vom Hauptgebäude des Deutschen Taubblindenwerks in Hannover-Kirchrode. Insgesamt stehen den fünf Bewohner*innen jeweils eigene Zimmer, zwei Bäder, eine Küche, ein Gemeinschafts- und ein Hauswirtschaftsraum sowie ein großer Garten zur Verfügung. Damit sich die Bewohner*innen heimisch fühlen und sich in ihren neuen vier Wänden zurechtfinden, wurde im Vorfeld Einiges getan. So orientiert sich die Gestaltung der Räume an den spezifischen Bedarfen von Menschen mit Hörsehbeeinträchtigung. Besondere, dimmbare Lichttechnik, starke Kontraste in der Inneneinrichtung und eine gute Wegeführung geben Orientierung und bieten Hilfestellung im Alltag. In puncto Sicherheit wurden zudem die notwendigen Maßnahmen ergriffen.
Auch technisch ist die Wohntrainingsgruppe auf dem neuesten Stand: Eine digitale Kommunikationsecke mit Videophone, Tablets und Smartphone ermöglicht jederzeit eine Kontaktaufnahme untereinander und mit dem Betreuungspersonal.
Mit dem Modellprojekt will das Deutsche Taubblindenwerk eine Alternative und Ergänzung zum stationären Wohnen für Menschen mit Taubblindheit anbieten. „Perspektivisch und bei individueller Förderung kann die Wohntrainingsgruppe den Bewohner*innen sogar helfen, ihren Alltag künftig nur noch mit Unterstützung von Ambulanten Diensten und weitgehend selbstständig bewältigen zu können“, zeigt sich Volker Biewald optimistisch.
Bis dahin sind zukunftsweisende Projekte wie die Wohntrainingsgruppe ein guter Zwischenschritt zur Umsetzung von Teilhabe an der Gesellschaft.